"Sommerschnee und Todesstreifen - Geschichten bis zum Mauerfall"
Rezension von Hermann Michael Niemann/Rostock
Mitten aus dem Leben erzählt
Als Chemiker kennt sich Dr. Georg M. Diederich mit Technik und Formeln aus. Ein sehr guter Erzähler ist er auch. Er stellt seine Leserschaft mitten in den pulsierenden Alltag hinein. Spannendes und Anrührendes erleben wir mit. Und das gelingt auf einem sprachlich anspruchsvollen Niveau, ungekünstelt und wirklichkeitsnah. Humor, Ironie, auch Selbstironie, fehlen nicht.
Wer in der DDR, nicht nur in deren Nordwesten, zwischen den sechziger Jahren und der Friedlichen Revolution gelebt hat, dürfte sich beim Lesen öfters an die eigene Biographie erinnern. Leser werden auch auf Ereignisse und Schicksale treffen, von denen man froh sein mag, sie nicht am eigenen Leibe erlebt zu haben. Da sind vorbildliche, mutige, aber auch erschreckende, diskriminierende und verletzende Verhaltensweisen, die man selbst so oder ähnlich erlebt hat und die noch heute beklemmend wirken und erschrecken. Von einer sehr ungewöhnlichen Fahrt „In der Straßenbahn des Propheten" berichtet die erste Erzählung. Die Überschrift der nächsten Geschichte vom „Sommerschnee" macht neugierig. Eine Liebesgeschichte endet „Am Schwarzen Brett". „Schön, daß Du da bist" kann man fast eine Tragikomödie nennen. „Ernas Ende" ist nochmals eine Liebesgeschichte, die sich überwiegend ins Tragische wendet. Wie überraschend der „Banküberfall" endet, verrät der Rezensent nicht. Auch die weiteren Überschriften sind originell – und treffend! Die beiden letzten Geschichten führen mitten in die Dramatik des Spätherbstes 1989, die letzte ("Stau am Todesstreifen") überschreitet dann eine Zeit-, eine Epochengrenze und eine geographische Grenze dazu.
Mit fortschreitender Zeit nach der ersten „Friedlichen Revolution" in Deutschland werden solche realitätsverwurzelten Erzählungen immer wichtiger. Unsere Kinder und Enkel sollten nicht geschichtslos und geschichtsvergessen sein, sie sollen wissen, wo sie und wo wir herkommen. Auch denjenigen, die aus Westdeutschland nach 1989 zu uns kamen, werden diese Geschichten beim gegenseitigen Verstehen und Zusammenleben helfen.
Ohne Pomp und grelle Reklame kommt das schmale Taschenbuch daher. Im Kontrast dazu steht sein inhaltlich beachtliches Gewicht. Den Erzählungen spürt man ihre zeitgeschichtliche Bedeutung ab, die Sensibilität und Liebe zu den beschriebenen Menschen, mit denen der Autor zusammen lebte, litt und kämpfte, für die er sich auch nach der sogenannten Wende bis heute in öffentlichen Ämtern und Aufgaben einsetzt. Seine Geschichten und die darin Handelnden stehen exemplarisch für viele Menschen vor 1989 und in diesem denkwürdigen Jahr der deutschen Geschichte.
Georg Maria Diederich: Sommerschnee und Todesstreifen. Geschichten bis zum Mauerfall. Thomas-Morus-Bildungswerk, Schriftenreihe Band 23. 182 Seiten. Schwerin 2014. ISBN 978-3-9810202-9-8








